Deine #FOMO braucht KI - Dein Business nicht unbedingt
Cloud, Blockchain, Künstliche Intelligenz, Maschinelles Lernen, Robotik: Diese Themen sind momentan enorm im Trend. Es ist zu erwarten, dass diese Begeisterungswellen weiterhin anhalten und die Faszination für neue Technologien bestehen bleibt. Dazu gesellt sich die #FOMO (Fear of Missing Out) – die Angst, etwas Wichtiges zu verpassen: Das Bestreben, als innovatives Unternehmen wahrgenommen zu werden, steht im Vordergrund, um nicht ins Hintertreffen zu geraten. Die Herausforderung, sich erfolgreich durch das Dickicht der Technologiehypes zu manövrieren, ist also durchaus real.
Hier präsentiere ich sieben Tipps, wie man Technologietrends erfolgreich reflektieren und gewinnbringend für sich nutzen kann. Um dies anschaulicher zu machen, ziehe ich ein konkretes Beispiel heran: Die Webseite von Thunersee Tourismus – eine reizvolle Region im Berner Oberland, die mir seit meiner Kindheit bekannt ist und die ein passenden Fallbeispiel darstellt.
Hightech-Dreams
Stelle dir vor, thunersee.ch hegt den Wunsch, sein Tourismusangebot inklusive der Webseite mithilfe eines „trendigen“ Themas wie Big Data, Cloud oder KI aufzuwerten. Lasst uns diesen Traum näher betrachten.
1. Technology Follows Business: Beginne mit einem relevanten Geschäftsziel.
Im Umfeld von Technologietrends liegt die Versuchung nahe, einfach mal ein „cooles“ Tool auszuprobieren, ohne einen klaren Zweck vor Augen zu haben. Achtung: Es gilt, entschlossen der eigenen #FOMO entgegenzutreten und zuerst ein Ziel auf strategischer Ebene festzulegen. Ohne ein konkretes Business-Ziel sollte weder ein Projekt gestartet noch eine kostspielige Investition getätigt werden.
Es gibt umfangreiche Literatur und Management-Präsentationen darüber, wie man Ziele präzise definiert (z.B. SMART Goals). Ein Ziel, das für das eigene Geschäft relevant, messbar und zeitlich präzise definiert ist, stellt bereits einen grossen Erfolg dar. Für thunersee.ch könnte dies beispielsweise bedeuten: Eine Steigerung der Buchungen über die Webseite um 30% in den nächsten zwei Jahren – (unter der Annahme, dass Buchungen einen wichtigen Stellenwert einnehmen, sonst würde dies nicht so prominent auf der Webseite hervorgehoben).
2. Kunden verstehen.
Es ist von grundlegender Bedeutung, ein klares Verständnis davon zu haben, wer die Kunden sind, für die man eine Webseite, eine digitale Lösung oder überhaupt ein Produkt entwickelt. Es ist wichtig, zu erforschen, wer die aktuelle Besucherschaft der Seite ist, welche Bedürfnisse befriedigt werden und an welchen Stellen die Kunden möglicherweise enttäuscht oder hingehalten werden. Hierbei geht es darum, Nutzenhypothesen für die bestehende Lösung zu formulieren und diese teilweise zu bestätigen oder zu verwerfen.
Einfache und (fast) kostenlose Hilfsmittel
- Google Trends: Eine Analyse mittels Google Trends, bei der ich nach „Thunersee“ und „Lake Thun“ gesucht habe, offenbart eine deutliche Saisonalität - offenbar interessieren sich deutlich mehr Menschen im Sommer für die Region Thunersee als im Winter. Zudem zeigt sich, dass Gäste aus der Schweiz ganz andere Suchanfragen haben als internationale Gäste.
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Leads aus dem Newsletter: Die Webseite verfügt bereits über einen Newsletter. Die dort gesammelten E-Mail-Adressen können für Umfragen genutzt werden (vorausgesetzt, dies ist in den AGBs festgehalten). Nur wirklich interessierte Besucher abonnieren den Newsletter, was ihn zu einer wichtigen Quelle für Feedbacks macht.
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Systematische Feedback-Sammlung im Call-Center oder in den Touristen-Centern:.
- Was suchen die Menschen in der Region?
- Was vermissen sie auf der Webseite? Wo gibt es Missverständnisse?
- Woher kommen die Touristen und welche Anliegen haben sie?
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Konkurrenzanalyse: Häufig sind die Top-Angebote auf Google für geschäftsrelevante Suchbegriffe bereits existierender Angebote von Mitbewerbern oder konkurrieren um die Aufmerksamkeit der Kunden (aktuell wohl das kostbarste Gut). So stiess ich beispielsweise bei Google auf die Möglichkeit, kostenpflichtige Touren zu buchen, Informationen zum Wetter, zur Wassertemperatur etc. zu erhalten. Es ist bedauerlich, dass man diese Bedürfnisse nicht selbst erfüllen kann.
3. Analysiere Website-Traffic und das Nutzerverhalten
Für die Analyse des Website-Traffics und des Nutzerverhaltens empfiehlt es sich, Web-Analyse-Tools wie Google Analytics, Adobe Analytics oder Matomo zu nutzen. Diese Instrumente ermöglichen es, umfassende Einblicke zu gewinnen, etwa:
- Die Herkunft des Website-Traffics und die Zeiten stärkster Aktivität (beispielsweise aus Suchmaschinen oder sozialen Medien).
- Die Seiten, auf denen Nutzer die meiste bzw. die wenigste Zeit verbringen.
- Die Punkte, an denen Kunden ihr Interesse verlieren oder die Geduld aufgeben.
- Eventuelle Probleme bei der Darstellung auf unterschiedlichen Geräten.
- Das Identifizieren von Verhaltensmustern, die aufzeigen, welche Aspekte der Website gut funktionieren und welche nicht. Laut Browser-Inspektion setzt thunersee.ch bereits Google Analytics ein, was sicherlich ein guter Anfang ist.
Persönlich bevorzuge ich Tools wie Matomo, da sie direkten Zugriff auf Rohdaten zum Kundenverhalten bieten. Die Analyse dieser Daten ermöglicht tiefere Einblicke und präzisere Anpassungen. Beispielsweise könnte man:
- Mittels Hauptkomponenten-Analyse und Clustering Zielgruppen-Personas entwickeln und Kunden nach ihren Eigenschaften gruppieren. Dies hilft dabei, jene Kundengruppen zu identifizieren, die häufig Buchungen vornehmen, und die Marketingbemühungen entsprechend auszurichten.
- Eine Zeitreihen-Analyse durchführen, um ein Verständnis für saisonale Schwankungen zu entwickeln und direktes Feedback zu bestimmten Massnahmen einzuordnen.
- Customer-Journeys visualisieren, um die Nutzererfahrung besser zu verstehen und gezielt verbessern zu können. Nicht zu vergessen ist, dass Matomo kostenlos genutzt werden kann, was es besonders attraktiv für die detaillierte Analyse von Nutzerverhalten macht.
4. Formulierung einer Content-Strategie: Gute Werbung besteht aus hochwertigem Inhalt
Nachdem nun ein Verständnis dafür entwickelt wurde, welche Kundengruppen existieren, warum sie die Seite besuchen, was sie suchen und finden, sowie wo momentan die Benutzererfahrung (UX) und die Inhalte der Seite das Buchungspotenzial einschränken, ist es an der Zeit, eine zielgerichtete Content-Strategie zu definieren. Diese könnte sich aus den folgenden Kernpunkten zusammensetzen:
a - Relevanz der Inhalte für die Zielgruppe Entwickle Inhalte, die die Zielgruppe nicht nur informieren, sondern auch inspirieren und unterhalten. Es sollte das Verlangen geweckt werden, die dargestellten Inhalte selbst erleben zu wollen – und im Idealfall zu buchen. Dies kann durch Videos oder Blogs über bereits gebuchte Angebote geschehen, ebenso durch Karten und Wanderwege in Verbindung mit der Option, Restaurants oder Hotels zu buchen, Fahrpläne, aktuelle Nachrichten und mehr. Das oberste Gebot hierbei ist, dass der Inhalt eine hohe Qualität aufweist und nicht den Eindruck von Werbung vermittelt.
b - Nutzung der richtigen Kanäle Verbreite deine Inhalte auf den Plattformen, auf denen sich deine Zielgruppe tatsächlich befindet. Dazu können soziale Medien, deine eigene Webseite, Newsletter oder E-Mail-Marketing gehören. Es ist entscheidend, die bevorzugten Kanäle deiner Zielgruppe zu kennen und dort präsent zu sein.
c - Messung des Erfolgs deiner Content-Strategie Nutze Google Analytics oder ähnliche Tools, um den Traffic auf deiner Website, die Anzahl der Interaktionen in sozialen Medien und die Konversionsrate zu überwachen. Definiere ein klare Zwischenziele und passe Deine Strategie bei Bedarf an. Es ist wichtig, den Erfolg regelmässig zu bewerten und Massnahmen entsprechend anzupassen, um die Effektivität deiner Content-Strategie sicherzustellen.
5. Erschliessen von „Low Hanging Fruits“ und Priorisierung von Tools
Nachdem die Ziele (Buchungen, Buchungen, Buchungen...), das Kundenverhalten und die Strategien feststehen, kann endlich über Trends und Investitionen nachgedacht werden. Zunächst gibt es allerdings sogenannte „Low Hanging Fruits“: Potenziale, die einfach und kostengünstig zu realisieren sind, bisher jedoch ungenutzt blieben.
Mögliche Low Hanging Fruits für Thunersee.ch
Social Media Präsenz: Eine Präsenz auf Instagram, TikTok oder YouTube für Thunersee.ch habe ich nicht finden können. Eine kleine Investition hier könnte sich lohnen. Die meisten Social-Media-Plattformen bieten die Möglichkeit, die Kundengruppen zu verstehen und gezielt anzusprechen. Es gibt viele motivierte Influencer, die bei der Ansprache unterstützen könnten.
Marketing-Pixels: Auf Social Media besteht zudem die Möglichkeit, entweder direkt Buchungen zu ermöglichen oder sogenannte Marketing-Pixels zu nutzen. Diese erlauben es, den Traffic von den Social-Media-Seiten zur eigenen Webseite zu messen und anschliessend den Inhalt auf Social Media für die Zielgruppe zu optimieren, die tatsächlich Buchungen vornimmt. Dadurch wird das Marketing-Budget optimal eingesetzt.
SEO-Optimierung: Es gibt Raum für Verbesserungen in der Suchmaschinenoptimierung der Seite, um die Auffindbarkeit zu erhöhen.
Priorisierung von Tools und Ideen Nun ist der Zeitpunkt gekommen, sich intensiver mit Tech-Trends und möglichen Investitionen auseinanderzusetzen, natürlich stets basierend auf den zuvor genannten Analysen. Folgende Trends könnten unser Ziel unterstützen:
- Individuelle bzw. attraktive Pricing-Engine: Preisanpassungen in Echtzeit, um Angebot und Nachfrage auszubalancieren und die Konversionsrate bzw. die Anzahl der Buchungen signifikant zu steigern.
- Hyper-personalisierte Benutzerführung: Auf Grundlage des Standorts, der Herkunft, der Zeit bzw. Saison, des verwendeten Geräts und vergangener Buchungen kann das Angebot mittels Machine-Learning-Modellen individuell angepasst werden.
- KI-Chatbot Lösung Eine Option, wobei eine korrekte und risikoarme Implementierung durchaus herausfordernd sein kann.
6. Proof of Concept
Ich empfehle, eine oder mehrere ausgewählte Lösungen in Form eines Proof of Concept (PoC) während einer Testphase zu erproben, um praktische Erfahrungen zu sammeln. Es ist entscheidend, dass die implementierte Lösung das festgelegte Ziel – in diesem Fall eine Steigerung der Buchungen – effektiv unterstützt. Sollte der PoC das Ziel nicht erreichen, das notwendige Know-how für den Betrieb fehlen, oder die Kosten die durch die Buchungen generierten zusätzlichen Einnahmen übersteigen, besteht immer noch die Möglichkeit, das Vorhaben abzubrechen.
7. Investition und kontinuierliches Monitoring mit A/B-Testing
Nach der Auswahl einer Lösung ist es essenziell, kontinuierlich zu überprüfen, ob das gewünschte Ergebnis erzielt wird. Dabei sollte man den Kunden stets verschiedene Varianten der Lösung präsentieren. Mittels A/B-Testing, bei dem mindestens zwei Varianten der Webseite getestet werden, kann ermittelt werden, welche Optionen das Interesse der Zielgruppe am stärksten wecken. Es ist effektiver, eine Idee direkt mit echten Kunden zu testen, als zu viel Zeit in die Ausarbeitung eines Konzepts zu investieren, das möglicherweise nicht den erwarteten Erfolg bringt.
Durch die Anwendung dieser sieben Schritte sollte es möglich sein, neue Technologien einzuführen oder Trends zu folgen, während gleichzeitig ein echter Mehrwert für das Unternehmen geschaffen wird.